Medizinnobelpreis 1932: Edgar Douglas Adrian — Charles Scott Sherrington

Medizinnobelpreis 1932: Edgar Douglas Adrian — Charles Scott Sherrington
Medizinnobelpreis 1932: Edgar Douglas Adrian — Charles Scott Sherrington
 
Die beiden britischen Physiologen erhielten den Nobelpreis für »ihre Entdeckungen auf dem Gebiet der Funktionen der Neuronen«.
 
 Biografien
 
Lord Edgar Douglas Adrian, * London 30. 11. 1889, ✝ Cambridge 4. 8. 1977; 1911-14 physiologische Forschungen am Trinity College (Cambridge), 1915-19 Militärarzt, ab 1919 Lehr- und Forschungstätigkeit in Cambridge, 1937-51 dort Professor der Physiologie, 1957-71 Kanzler der Universität Leicester, 1968-75 Kanzler der Universität Cambridge.
 
Sir (seit 1922) Charles Scott Sherrington, * London 27. 11. 1857, ✝ Eastbourne 4. 3. 1952; 1887-95 Dozent für systematische Physiologie am St. Thomas Hospital (London), 1895-1912 Professor der Physiologie an der Universität in Liverpool und 1913-35 an der Universität Oxford.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als Charles Sherrington und Edgar Adrian am 12. Dezember 1932 in Stockholm den Nobelpreis entgegennahmen, befand sich in der Nähe des Rednerpults ein Grammophon. Das blieb zunächst stumm. Kaum hatte Adrian in seinem Vortrag das Feuern von Nervenimpulsen durch Druckrezeptoren in den Wandungen von Blutgefäßen erwähnt, da erklangen aus dem Grammophon die entsprechenden, durch geeignete Apparate verstärkten Signalgeräusche. So stand die öffentliche Hörbarkeit einer Nerventätigkeit am Ende einer Reihe miteinander verschalteter Vorrichtungen, deren Einsatz erst jene Entdeckungen möglich gemacht hatte, für die den britischen Forschern der Nobelpreis zuerkannt worden war.
 
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die Erforschung der Nervenfunktionen nicht zuletzt auch eine Sache ausgeklügelter Apparaturen, denen man die Erzeugung informativer Daten übertrug. Aus den apparativ erzeugten Daten wurden dann Rückschlüsse auf die im Nervensystem oder in dessen Teilen stattfindenden Vorgänge gezogen.
 
 Sherrington: Erforschung der Reflexmechanismen
 
Seit seiner Studienzeit besaß Sherrington ein ausgeprägtes Interesse für Probleme der Neurophysiologie. Die während seiner Arztausbildung erworbene Fingerfertigkeit und die Beherrschung der Wirbeltieranatomie bildeten die Grundlage, auf der er sich der Erforschung der Reflexe zuwandte. Durch Untersuchungen des Patellarsehnenreflexes (auch »Kniephänomen« genannt) identifizierte er zunächst sowohl den Verlauf der Nervenbahnen zwischen den Muskeln der hinteren Gliedmaßen und dem Rückenmark wie auch die im Rückenmark befindlichen Schaltstellen und machte dabei die Entdeckung, dass die skelettfixierten, quergestreiften Muskeln mit Mechanorezeptoren ausgestattet sind, die Signale zu den Schaltstellen im Rückenmark aussenden. Damit war ein Rückkoppelungsmechanismus gefunden, der nicht nur beim Patellarsehnenreflex, sondern allgemein in der Statik und Motorik der Organismen wirksam ist. Dieses Prinzip bestätigte Sherrington in jahrelangen Versuchen durch wechselweise erfolgende Reizungen einzelner Stellen des Rückenmarks, einzelner Muskeln und einzelner Nerven, wobei die Effekte dieser Reizungen auf Muskelschreibern in Gestalt von Zuckungskurven aufgezeichnet wurden. Es zeigte sich dabei, dass die reflexbedingte Hemmung von Muskeln für die Statik und Motorik ebenso lebenswichtig ist wie die Erregung von Muskeln: das Geheimnis der Integration beruht auf der Zusammensetzung einzelner Reflexe unter der Kontrolle der nervösen Schaltstellen.
 
Spätere Untersuchungen Sherringtons betrafen zunehmend komplexe Reflexmechanismen. Er wies unter anderem nach, dass von außen an Versuchstieren ausgelöste Streckungen eines Muskels die Beugung des Gegenspielermuskels verursachen. Ferner identifizierte er die motorische Einheit als einzelne, im Rückenmark gelegene zentrale Nervenzelle, die über ihre Verästelungen die Tätigkeit von gut 100 Muskelspindeln koordiniert.
 
Sherrington war nicht nur ein unermüdlicher Forscher, der bis zu seiner Emeritierung fast jede Woche ein eigenständiges Experiment durchführte, sondern auch ein vielseitig sprachgewandter Gelehrter. Neben anderen Fachausdrücken schlug er 1897 das Wort »Synapse« zur Bezeichnung der Kontaktstelle zwischen Nervenzellen vor — aus dem Vokabular der modernen Neurowissenschaft ist dieses Wort nicht mehr wegzudenken. 1925 veröffentlichte er den Gedichtband »The Assaying of Brabantius« (englisch; die Prüfung des Barbantius), dem später ein moralphilosophische Themen aufgreifendes Buch über die Natur des Menschen (1941) und eine medizinhistorische Monographie über den französischen Renaissancearzt Jean Fernel (1946) folgten.
 
 Adrian: Erforschung der Nervenimpulse
 
Edgar Adrians Ansatz stellt sich einem im Rückblick als partielle Ergänzung des Sherrington'schen Forschungsprogramms dar. Bereits um 1900 war bekannt, dass Reflexe, Wahrnehmungen, Fortbewegungen und andere Lebenserscheinungen ohne Nervenimpulse nicht zustande kämen. Die meisten Eigenschaften der Nervenimpulse selbst waren noch rätselhaft, als Adrian in Cambridge durch seinen Tutor Keith Lucas in die Technik der Elektrophysiologie eingeführt wurde. Er musste 1919 nach Beendigung seiner militärärztlichen Tätigkeit seine zuvor unterbrochenen Forschungsarbeiten selbstständig fortsetzen, da Lucas 1916 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
 
Zunächst scheiterte die Bestimmung des Nervenimpulses an den verwendeten Nervenpräparaten und an den Messinstrumenten. Erst als es Adrian 1925 gelang, elementare Impulsleitungen in Gestalt einzelner Nervenfasern zu isolieren und über eine Ableitungsvorrichtung an die aus der Radiotechnik stammenden Verstärker anzuschließen, konnte er die wenige Mikrovolt starken und wenige Millisekunden dauernden Nervenimpulse erfassen. Mit seinen Mitarbeitern stellte er fest, dass sich Nervenimpulse durch Invarianz auszeichnen. Das heißt: Das von einer Nervenzelle ausgesandte Signal bewegt sich als Welle des veränderten elektrischen Potenzials auf der Nervenfaser fort. Die Intensität einer Reizung wird dagegen durch die Häufigkeit (Frequenz) der einander folgenden Nervenimpulse angezeigt, wobei zwischen jedem Impuls eine durch Refraktion (Leitunfähigkeit) bedingte Ruhephase eintritt. Was beispielsweise als Stärke eines äußerlichen Verletzungsschmerzes erlebt wird, entspricht der Frequenz der Impulse, die von den Nervenzellen an der verletzten Hautstelle zum Gehirn geleitet werden. Aufgrund vieler Versuche konnte Adrian auch die Aussage treffen, dass die Eigenschaften der Impulse auf den sensorischen und auf den motorischen Nerven weitgehend identisch sind.
 
In der Zeit nach 1932 erforschte Adrian auch verschiedene andere Mechanismen des Nervensystems — unter anderem die Generierung elektrischer Rhythmen im Gehirn, die für den Gleichgewichtssinn zuständigen Rezeptoren im Innenohr und die zwischen den sensorischen und motorischen Arealen der Hirnrinde bestehenden Zusammenhänge. Sein bevorzugter Untersuchungbereich war jedoch die Physiologie des Geruchssinns.
 
A. Métraux

Universal-Lexikon. 2012.

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